Lindsches Trauersprachen-Modell

„Ich spreche Trauer. Und du (nicht)?!“

Mit einem Schicksalsschlag spricht ein Trauernder von jetzt auf gleich eine neue Sprache. Sie ist individuell. Verstanden wird sie von den wenigsten.
Die eigene Trauersprache ist sehr individuell. Sie setzt sich aus dem eigenen Schicksalsschlag, dem eigenen Umgang mit der Trauer sowie sonstigen Lebensumständen zusammen.
Die eigene Trauersprache ist sehr individuell. Sie setzt sich aus dem eigenen Schicksalsschlag, dem eigenen Umgang mit der Trauer sowie sonstigen Lebensumständen zusammen.
© Abb.: trosthelden.de

Neuer Ansatz für die Trauerforschung

Durch ihre Arbeit haben Jennifer und Hendrik Lind, Gründer des Startups TrostHelden, rund 7.000 Einzelgespräche mit trauernden Menschen geführt.

Dabei sind sie auf einen bisher nicht beachteten Aspekt in der Trauerforschung gestoßen, der in der Hilfe für Trauernde neue Möglichkeiten eröffnet. In der Folge hat das Ehepaar das Lindsche Trauersprachen-Modell samt praktischer Umsetzung über trosthelden.de entwickelt.

Essenz aus rund 7.000 Einzelgesprächen

Die Essenz aus rund 7.000 geführten Einzelgesprächen mit Trauernden über ihre unbefriedigten Bedürfnisse in ihrer Trauersituation lässt sich in zwei Punkten zusammenfassen:

1.     Das soziale Umfeld kann Betroffenen meist nicht das geben, was dringend benötigt wird: emotionales Verständnis.

2.     Betroffene selbst verstehen sich oftmals selbst nicht und erkennen sich selbst nicht wieder.

Um die Grundlage für diese Tatsache zu verstehen, eignet sich das Bild der Sprache. Mit dem Schicksalsschlag spricht ein trauernder Mensch von jetzt auf gleich eine neue Sprache; eine Trauersprache, die die betroffene Person zwar plötzlich sprechen kann, sich selbst aber (noch) nicht unbedingt versteht.

Diese Trauersprache ist sehr individuell und setzt sich aus dem eigenen Schicksalsschlag, dem eigenen Umgang mit der Trauer sowie sonstigen Lebensumständen zusammen.

Der Umstand, die Sprache sprechen zu können, sie selbst aber nicht zu verstehen, ist eine zwiespältige Angelegenheit und belastet die ohnehin schon schwierige Situation zusätzlich.

Tausende verschiedene Trauersprachen

Zu beachten ist, dass Menschen in Trauer pro Ebene von verschiedenen Aspekten berührt werden können; so beispielsweise auf der Ebene Lebensumstände die Themenwelten Kinder und finanzielle Situation.

Aus der Kombination aller drei Ebenen mit allen ihren jeweiligen Bestandteilen ergibt sich die individuelle Trauersprache. In Summe ergeben sich zigtausend verschiedene Trauersprachen. Die eigene sprechen wir mit dem Schicksalsschlag von jetzt auf gleich.

Das Umfeld oder auch Anbieter wertvoller Unterstützung für Trauernde hingegen können diese Sprache aus rein logischen Gründen nicht sprechen. Sie können sich eventuell rein mental in die Situation hineinversetzen, doch ihre Bedeutung auf emotionaler Ebene kann nicht erreicht werden.

Treffen zwei Trauernde mit gleicher oder ähnlicher Trauersprache aufeinander, entsteht Verständnis auf Herzensebene.
© Abb.: trosthelden.de

Herz gegen Verstand – doch ich verstehe dich nicht, mein Herz!

Das wird zum Beispiel dann deutlich, wenn vom Umfeld, den existenten Hilfsangeboten und sogar dem eigenen Verstand gute Lösungsansätze herangetragen werden und aus dem Unterbewusstsein – also der Herzensebene – eine vehemente Ablehnung oder Nichtanerkennung kommt. Selbst gegen den eigenen Kopf.

Das entsprechende Thema bzw. Gefühl bleibt emotional ungelöst. Rationale Aspekte haben vor Herzensargumenten bei Trauer keine Chance und verursachen ablehnende Wut und Ohnmacht.

Oftmals verursacht diese Situation einen Rückzug der trauernden Person; der erste Schritt in eine Vereinsamung ist gemacht. Allein das Verstehen der Herzensargumente in der völlig neuen Situation der Trauer will gelernt werden.

Trauer ist demnach ein Entwicklungsprozess. Sperren wir uns, entfernen wir uns nicht nur von unserem Umfeld, sondern sogar von uns selbst.

Mit dem Schicksalsschlag spricht ein trauernder Mensch von jetzt auf gleich eine neue Sprache; eine Trauersprache, die die betroffene Person zwar plötzlich sprechen kann, sich selbst aber (noch) nicht unbedingt versteht.
© Foto: iStock-U.Ozel.Images

Die individuelle Trauersprache

Jeder Aspekt der drei einzelnen Ebenen des Trauersprachen-Modells hat seine eigene Themenwelt. Es macht einen Unterschied, ob der geliebte Mensch nach langer Krankheit, nach einem erfüllten Leben oder durch einen plötzlichen, tödlichen Unfall gestorben ist (Ebene Schicksalsschlag).

Es macht einen Unterschied, ob noch eigene Kinder vorhanden sind und ihre Trauer versorgt werden muss oder nicht (Ebene Lebensumstände). Es macht auch einen Unterschied, ob der trauernde Mensch die Zeit rückwärts drehen will oder vorwärts und ob beispielsweise Spiritualität eine Rolle spielt (Ebene Umgang mit Trauer).

Zwist zwischen Herz und Verstand

Für den Zwist zwischen Herz und Verstand sind beispielsweise das schlechte Gewissen und Fremdgehgefühl bei Witwen oder Witwern zu nennen, die nach einer Weile eine neue Partnerin oder einen neuen Partner haben.

Das Umfeld und der eigene Kopf sagen zu Recht, das Leben ginge weiter und es ist gut, sich neu zu verlieben. Trotzdem bleiben quälende Gefühle und das schlechte Gewissen bestehen.

"Ego-Trauer"

Auch das Thema der „Ego-Trauer“ fällt in diesen Bereich. Mit der Trauer um den Menschen kann auch eine Trauer um sich nicht mehr erfüllende Lebenspläne und -träume einhergehen. Hierüber wird meist nicht gesprochen, denn es hat negativ bewertete, egoistische Aspekte und ist anscheinend pietätlos.

Der eigene Kopf will diese Ego-Gefühle ebenfalls nicht zulassen. Doch sie sind wahrhaft – auf Herzensebene.

Die Lösung ist Verständnis, denn Gleich und Gleich gesellt sich gern

Bereits in ihrem vorherigen Familienunternehmen hat das Ehepaar Lind Trauernde erfolgreich zusammengebracht, bei denen ihnen das Bauchgefühl sagte, es sei ein sich gegenseitig befruchtendes Zusammentreffen.

Die zusammengebrachten Trauerfreundschaften berichteten von großen Schritten im Vorankommen in puncto ihrer Trauer. Alle berichteten von prompt verarbeiteten Themen auf emotionaler Ebene.

Treffen zwei Trauernde mit gleicher oder ähnlicher Trauersprache aufeinander, entsteht Verständnis auf Herzensebene. Meist reicht ein Sich-im-anderen-Erkennen, um den Zwist zwischen Kopf und Herz zu begleichen.

Gute Lösungsansätze, die an den Trauernden herangetragen werden, erreichen ihn dann nicht, wenn das Herz "nein" dazu sagt.
© Abb.: trosthelden.de

Verständnis bringt Selbst-Verständnis

Verständnis im Außen tut in erster Linie gut. Dieses Verständnis dient jedoch auch als Spiegel, um sich selbst in Trauer neu kennen zu lernen. Viele Trauernde gehen mit ihren Handlungen und Gedanken sehr selbstkritisch ins Gericht.

Oft fragen sie sich selbst, ob sie nun „verrückt“ werden bzw. sind. Das kann quälend sein und das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeit schwächen. Ist da jedoch ein Gegenüber, das Handlungen und Gedanken durch Spiegelung bestätigt – sprich: die gleiche Trauersprache spricht – wandelt sich das „verrückt“ zu „normal“ bzw. als der Situation geschuldet. Das wiederum führt zu großer Erleichterung und Selbstverständnis.

Durch einen Schicksalsschlag erwacht im Trauernden von jetzt auf gleich ein Schattenanteil, der neuer Taktgeber ist. Er ist mit schmerzenden und ohnmächtigen Gefühlen gepaart, die nicht selten in einer Handlungsunfähigkeit münden.

Dieser Teil fühlt sich fremd an, ist jedoch ein Teil des Ichs, der durch den Schicksalsschlag aktiviert wurde. Verständnis im Außen hilft, diesen neuen Anteil des Ichs auszuleuchten. Es hilft, die Trauer zu erkennen, zu akzeptieren und ins eigene – veränderte – Leben zu integrieren.

Trauernde und Umfeld haben andere Aufgaben miteinander

Insgesamt ist zu sagen, dass das eigene soziale Umfeld meist nicht der richtige Ansprechpartner für viele Bereiche der Trauergefühle ist. Unterschiedliche Sprachen erschweren eine Kommunikation oder machen sie gar unmöglich.

Allein das Wissen um Trauersprachen lässt Betroffene und ihr Umfeld versöhnlicher miteinander umgehen. Der trauernde Mensch braucht keine Lösungen aus seinem gewohnten Umfeld zu erwarten; andersherum braucht das Umfeld kein schlechtes Gewissen und Ohnmachtsgefühle zu entwickeln.

Beide Seiten können realistische Wünsche oder Angebote haben und machen.

trosthelden.de – die erste Matching-Plattform für Trauernde

Matching per Bauchgefühl hat seine Grenzen. Da die erzielten Ergebnisse so erstaunlich waren, hat das Ehepaar Lind einen Weg der Skalierung gefunden. Gemeinsam mit Experten aus der Trauerbegleitung und der Psychologie wurde ein Algorithmus geschaffen, der alle Aspekte des Lindschen Trauersprachen-Modells abdeckt und gewichtet.

Jedes TrostHelden-Mitglied bekommt nach einem psychologischen Fragebogen online Trauerfreundschaften angeboten, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die gleiche oder eine ähnliche Trauersprache gesprochen wird.

So ist eine Hilfe für Trauernde geboren, die neben der bereits existenten Hilfe und Begleitung ein wichtiger Bestandteil für einen guten Umgang mit der eigenen Trauer ist. Denn er bringt Verständnis im Außen und Verständnis im Innen.

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