Trauergeschichten

„Unsere Söhne sollen nicht umsonst gestorben sein“

Tanja Albroscheit hat ihren Sohn durch "Benzos" verloren. Mit ihrer Trauerfreundin kämpft sie gegen einen zu sorglosen Umgang mit solchen Mitteln.
Tanja Albroscheit hat zu ihrer Trauerfreundin Dana ein sehr inniges Verhältnis. "Dank Trosthelden!", sagt sie.
Foto: privat

Tod durch Medikamentenmissbrauch

Tanja Albroscheit (47) hat ihren 23-jährigen Sohn Marco verloren. Durch einen Atemstillstand – ausgelöst vermutlich durch Benzodiazepine. Bei TrostHelden hat sie eine Trauerfreundin mit einem verblüffend ähnlichen Schicksalsschlag kennengelernt. Seither sind sie enge Freundinnen.

Woran ist dein Sohn gestorben?

Mein Sohn hatte mit Diabetes Typ 1 eine schwere Vorerkrankung. Als er starb, hatte er Alkohol und Benzodiazepine im Blut. Diese Medikamente haben eine beruhigende, angstlösende, krampflösende und schlaffördernde Wirkung, sie wirken dämpfend auf das Zentrale Nervensystem. Nach meiner Auffassung sind sie die Ursache für seinen Atemstillstand. Mein Sohn ist nicht der Einzige, der durch Benzodiazepine gestorben ist. Ich kenne mittlerweile eine ganze Reihe ähnlicher Fälle.

Hat Marco auch andere Medikamente missbräuchlich verwendet?

Er hatte zuvor Ketamin konsumiert. Das ist ein Narkosemittel, das aber auch gegen Depressionen verordnet wird und nur unter strengster ärztlicher Beobachtung eingesetzt werden sollte. Jugendliche benutzen dieses Mittel, um Nahtod-Erfahrungen zu machen. Um einen besonderen Kick zu bekommen.

Wie kommen die Jugendlichen an solche Mittel?

Solche Mittel, besonders die Benzodiazepine, werden in meinen Augen viel zu leichtfertig von manchen Ärzten verschrieben.

Tückische Benzodiazepine

Werden diese Rezepte auch gefälscht?

Manche Jugendliche fälschen Rezepte oder bestellen bereits entsprechend ausgefüllte Rezepte schwarz im Internet. Das Problem: Diese Rezepte lassen sich problemlos in Apotheken einlösen. Deshalb kämpfe ich dafür, dass grundsätzlich Betäubungsmittel-Rezepte, kurz BtM-Rezepte, für Mittel wie Benzodiazepine oder Ketamin ausgestellt werden. Diese Betäubungsmittel-Rezepte kann man nicht so leicht in einer Apotheke einlösen. Ich habe jetzt extrem viel gelesen über dieses Thema und mich tiefgreifend informiert.

Der Sohn deiner Trauerfreundin ist ebenfalls an Medikamentenmissbrauch gestorben …

Ja, auch bei ihm wurden Benzodiazepine im Körper gefunden. Diese Medikamente werden leider von vielen Rappern besungen und dabei verherrlicht. Nach dem Motto: Nimm es und es geht dir gut. Viele Schauspieler und Musiker sind bereits daran gestorben, von Michael Jackson über Whitney Houston bis zum Rapper Lil Peep. In Deutschland sind viele Menschen davon abhängig.

Angesichts dieser Situation bist du nicht untätig. Du hast eine Selbsthilfegruppe für betroffene Mütter gegründet?

Ja, wir sind eine Gruppe von Müttern, die ihre Kinder durch solche Medikamente verloren haben. Meine TrostHelden-Trauerfreundin ist auch dabei. Wir haben bereits Briefe an wichtige Stellen geschrieben, zum Beispiel an den Apotheker-Verband oder den zuständigen Ausschuss im Bundestag. Das ist das Einzige, was wir tun können, um andere Menschen vielleicht zu schützen. Und wenn es nur ein Leben ist, das wir dadurch retten. Es MUSS etwas passieren. Ich kann das so nicht hinnehmen. Mein Sohn, unsere Söhne, sollen nicht umsonst gestorben sein.

"Ich fühlte mich komplett allein"

Wo hast du dir nach dem Tod von Marco Hilfe geholt?

Nach seinem Tod lag ich völlig einsam im Bett, fühlte mich komplett allein, auch wenn man natürlich Freunde und Bekannte hat. Es ist ja etwas weggestorben von mir selbst. Ich war so verzweifelt. Da habe ich gegoogelt und bin auf die „Verwaisten Eltern“ gestoßen. Dort bekam ich rasch einen Termin für ein Einzelgespräch. Das hat mir meine erste Ohnmacht genommen, das war sehr, sehr gut. Zudem bietet die Organisation einmal pro Monat eine Gruppensitzung an. Doch das reichte mir alles nicht. Ich sprach deshalb auch mit einer Therapeutin. Aber sie hatte nicht diese Erfahrung, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren. In meinen Augen ist es sehr wichtig, sich jemanden Gleichgesinnten mit der gleichen Erfahrung zu suchen.

So kamst du auf TrostHelden …

Ich habe bei Google die Begriffe „Trauer“ und „Einsamkeit“ eingegeben. Und da erschien TrostHelden. Ich habe mich durchgeklickt, habe den Fragebogen ausgefüllt. Und sofort kamen die ersten Trauerfreundinnen-Vorschläge. Ich habe zwei Frauen angeschrieben. Beide haben mir auch geantwortet. Zu einer von ihnen hatte ich sofort einen Draht. Sie hatte ihren Sohn ebenfalls durch Medikamentenmissbrauch verloren. Wir haben beide das gleiche Alter, unsere Söhne hatten das gleiche Alter … Der Algorithmus bei TrostHelden funktioniert.

Wie oft habt ihr euch geschrieben?

Am Anfang haben wir uns zweimal die Woche sehr lange Texte geschrieben. Später häufiger. Und diese Nachrichten haben wir jeweils Schritt für Schritt, Frage für Frage, Thema für Thema beantwortet.

"Das kann man nicht aushalten"

Was hat dieser intensive Austausch bei dir bewirkt?

Ich hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Weil ich meine Trauer mit jemandem teilen konnte, der genau das Gleiche empfindet und Verständnis zeigt. Mein Freund sagte zu mir: ,Schatz, knips doch einfach mal deinen Kopf aus.’ Aber das geht nicht. Meine Trauerfreundin hat das sofort verstanden. Sie wusste genau, wovon ich spreche. Dieses nie wieder sehen, nie wieder zusammen lachen können, nie wieder eine Nachricht bekommen – dieses nie, nie, nie wieder, das kann man nicht aushalten.

Die Realität ist unerträglich.

Es ist so schlimm, die Wirklichkeit zu sehen. Die Sterbeurkunde, die du in den Händen hältst. Die Trauerkarte, die du schreibst. Den Text auf dem Grabstein, den du formulierst. Wenn du das knallhart schwarz auf weiß vor Augen hast, ist es nicht auszuhalten. Immer, wenn ich den Namen meines Sohnes gesehen habe, dachte ich: Der Name gehört da nicht hin, das ist falsch. Da irrt sich jemand. Und meiner Trauerfreundin ging es genauso. Deshalb ist es so gut, dass ich mich mit ihr austauschen kann. Was wir erleben, ist eine Achterbahnfahrt von der ganz schlimmen Sorte. Aber wir beide hatten das Gefühl: Wir sind es, wir können einander in dieser schlimmen Situation unterstützen.

Das perfekte Match sozusagen?

Ja, wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sie hat auch den gleichen Humor. Das ist wunderbar. Ich hatte dann entschieden, dass ich selbst niemand anderen mehr anschreibe bei Trosthelden. Es ist nicht gut, wenn man mit zu vielen Menschen über das Thema spricht, denke ich.

Ein intensiver Austausch zwischen Trauerfreundinnen

Warum?

Man beschäftigt sich sonst zu viel damit und ist nur noch von traurigen Menschen umgeben. Das mache ich bewusst nicht. Das tut mir nicht gut. Das halte ich nicht aus.

Du gehst weiterhin einmal pro Monat in eine Trauergruppe von den „Verwaisten Eltern“. Was findest du bei TrostHelden, was du dort nicht findest?

Diesen kurzfristigen, regelmäßigen, sehr persönlichen Austausch. Mitunter tauschen sich meine Trauerfreundin und ich jeden Tag miteinander aus. Denn es geht dir jeden Tag schlecht. Du brauchst ein Ventil. Du brauchst eine richtig gute Trauerfreundin! Noch immer ist unser Austausch sehr intensiv, nach einem halben Jahr! Unsere Söhne haben uns zusammengeführt, das denken wir manchmal.

Habt ihr euch auch schon persönlich getroffen?

Ja, wir haben uns mehrfach persönlich getroffen. Beim ersten Mal haben wir uns gesehen und uns in den ersten fünf Minuten dreimal umarmt. Das war eine ganz, ganz tolle Begegnung. Bei uns beiden sind die Tränen gelaufen. Wir haben uns so gefreut. Sie hatte ein Geschenk für mich, ich hatte ein Geschenk für sie. Ohne dass wir darüber gesprochen hätten.

Es ist eine richtig innige Freundschaft entstanden?

Wir haben bei dem Treffen zum Teil dagesessen und Händchen gehalten. Sogar zu viert, mit unseren Männern, haben wir uns schon gesehen. Die Männer verstehen sich auch gut. Und so geht das jetzt weiter, wir sind schon wieder verabredet. Wir schicken uns weiter Päckchen. Wir schicken uns Karten. Wir schicken uns Nachrichten. So ist das bei uns. Und das ist nur passiert dank TrostHelden.

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